Sunday, May 31, 2009

"Ich wollte Amerika nicht helfen, Unschuldige zu ermorden"


"Ich wollte Amerika nicht helfen, Unschuldige zu ermorden"

(Beitrag bereits im Dez. 2008 erschienen, habe ihn aber erst jetzt gefunden)

Er ist der erste desertierte US-Soldat, der in Deutschland politisches Asyl beantragt hat: André Shepherd will nicht noch einmal im Irak kämpfen. Er hält den Krieg für völkerrechtswidrig - im SPIEGEL-ONLINE-Interview spricht er über seine Motive, Hoffnungen und die Angst vor der Militärpolizei.

SPIEGEL ONLINE: Herr Shepherd, Sie leben jetzt in einem deutschen Asylbewerberheim. Wie geht es Ihnen?

Shepherd: Ich bin sehr erleichtert. Mein Leben steckte vor dem Asylantrag so lange in einer schier unerträglichen Warteschleife - jetzt hat sich endlich etwas bewegt. Hier in der Unterkunft bin ich zusammen mit Flüchtlingen aus Ländern wie dem Irak, Afghanistan, Pakistan, Iran, und wir kommen sehr gut miteinander klar.



SPIEGEL ONLINE: Warum sind Sie aus der US-Armee desertiert?

Shepherd: Wohl aus ähnlichem Grund wie die rund 25.000 Kameraden, die seit dem Beginn des Irak-Krieges desertiert sind. Ich war als Mechaniker bei der Army zuständig für die Instandhaltung von Ah-64A-Apache-Helikoptern und bereits von September 2004 bis Februar 2005 in Camp Speicher stationiert, einem Stützpunkt nahe Tikrit. Später habe ich kapiert, dass dieser Krieg ein Aggressionskrieg ist, der ganz klar gegen die Charta der Vereinten Nationen verstößt und damit völkerrechtswidrig ist. Als ich im April 2007 den zweiten Einsatzbefehl für den Irak bekam, gab es für mich keine andere Möglichkeit mehr, als den Dienst in diesem Krieg zu verweigern. Ich wollte Amerika nicht noch einmal dabei helfen, unschuldige Menschen zu ermorden.

SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie es geschafft, 19 Monate lang in Süddeutschland unterzutauchen?

Shepherd: Dabei haben mir vor allem meine deutschen Freunde geholfen, die mir schnell ein Zimmer in einem alten Bauernhaus besorgt haben. Sie haben mich durchgefüttert, auch wenn ich zwischendurch immer wieder versucht habe, zum Beispiel mit Gartenarbeit ein wenig Geld zu verdienen. Aber das war natürlich schwierig. Später haben mich die Leute vom Military Counseling Network, die in Deutschland stationierte US-Soldaten und Kriegsdienstverweigerer beraten, mit juristischem Rat unterstützt.

SPIEGEL ONLINE: Sind sie denn nie in eine Polizeikontrolle geraten?

Shepherd: Ich war sehr vorsichtig, denn ich hatte große Angst, dass mich die deutsche Polizei an die US-Militärpolizei ausliefern würde. Dann wäre ich erst einmal für viele Monate im Gefängnis gelandet. Trotzdem wurde ich in den 19 Monaten zweimal kontrolliert - bin aber jedes Mal mit dem Schrecken davongekommen. Die Polizisten dachten, ich sei ein illegaler Tellerwäscher aus Afrika. Als ich ihnen meinen Army-Ausweis zeigte, haben sie mich einfach durchgewinkt. Trotzdem lebt man natürlich in permanenter Angst.

SPIEGEL ONLINE: Die meisten US-Deserteure flüchten nach Kanada. Wieso haben Sie ausgerechnet in Deutschland politisches Asyl beantragt?

Shepherd: Ich war die vergangenen Jahre in Deutschland stationiert, in der Katterbach-Kaserne in der Nähe von Nürnberg. Fast alle US-Soldaten fliegen ja über Deutschland in den Irak oder nach Afghanistan. In Deutschland leben meine wichtigsten Freunde, hier sehe ich meine Zukunft, fühle ich mich zu Hause. Außerdem wurde hierzulande in den Nürnberger Prozessen deutlich gemacht: Nur Befehle zu befolgen, ist keine Entschuldigung. Jeder, auch ein Soldat, ist für seine Taten verantwortlich. Daher denke ich: Wenn ich in diesem Land nicht Zuflucht und Verständnis für mein Handeln finden kann, wo dann?

SPIEGEL ONLINE: Als Asylbewerber stehen Sie unter dem Schutz der Genfer Flüchtlingskommission. Fühlen Sie sich nun sicher?

Shepherd: Zumindest sicherer als zuvor. Aber den ständigen ängstlichen Blick über die Schulter, das Leben im Schatten, gewöhnt man sich nur langsam ab. Ich weiß nicht wirklich, was wirklich passieren würde, wenn ich einer Streife der US-Militärpolizei in die Arme laufen würde. Daher bin ich immer noch sehr vorsichtig. Aber es gibt für mich keine Alternative: Ich hätte mich strafbar gemacht, wäre ich noch einmal in diesen völkerrechtswidrigen Krieg gezogen. Nicht ich bin der Kriminelle. Die Verantwortlichen sitzen in Washington.

Das Interview führte Simone Kaiser
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,593835,00.html

1 Comments:

Blogger Atà-Riù said...

Interessante Geschichte. Gefällt mir gut!

War sicher nicht einfach diese Entscheidung zu treffen und zu durchleben.

Respekt!

War mir gar nicht bekannt, dass bereits 25.000 US-Soldaten den Dienst verweigert haben.

Da fragt man sich doch, wieviel Information tatsächlich an uns "vorbeigeschleust" wird und wurde. (Was nicht bedeuten soll, dass diese Info nicht vielleicht frei verfügbar ist/ war, und ich sie einfach nur keinen Wind davon bekommen habe.)

4:47 AM  

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